Nervenkampfstoffe

Bei systematischen Untersuchungen in den 30er Jahren hatten Forscher entdeckt, dass organische Ester der Phosphorsäure eine schädlingsbekämpfende (insektizide) Wirkung besitzen.

Hierbei fand man, dass einige dieser Substanzen auch für Säugetiere eine hohe Giftigkeit aufwiesen. Daher lässt sich die hohe strukturelle Ähnlichkeit zwischen den Pflanzenschutzmitteln Parathion (E605) und Malathion einerseits und den N. Tabun, Sarin, Soman und VX andererseits erklären. In normalen Produktionsanlagen für Pflanzenschutzmittel lassen sich durch kleine Veränderungen und Verwendung anderer Ausgangssubstanzen relativ leicht N. herstellen.

Die Aufnahme von N. erfolgt über Haut, Atmungsorgane und Augen. Ein Schutz ist nur durch Ganzkörperschutzanzüge möglich, und daher unter Kampfbedingungen oder für die Zivilbevölkerung nahezu nicht möglich. Ihre Wirkung beruht auf einem Eingriff in die normale Reizübertragung in den Nervenbahnen. Normalerweise wird ein Reiz zwischen zwei Nervenzellen durch den Neurotransmitter Acetylcholin übertragen, der schnell über den Zellzwischenraum auf die Rezeptoren gelangt und dort wieder einen Reiz auslöst. Anschließend wird die Substanz von einem Enzym wieder entfernt und steht für eine neue Reizübertragung zur Verfügung. Die N. ähneln nun dem Acetylcholin von der Struktur her so stark, daß sie die aktiven, eigentlich für den Neurotransmitter vorgesehenen Stellen am Enzym belegen. Als Folge ergibt sich eine Dauerreizung des Nervensystems, die zu Schweißausbrüchen, Erbrechen, Krämpfen und schließlich zu Atemlähmung und Kreislaufkollaps führt, da der angelagerte N. nicht oder nur sehr langsam von den Rezeptoren abgelöst werden kann.
Die Behandlung einer Vergiftung mit N. ist sehr schwierig, da sie abhängig von Zeitpunkt und Stärke der Vergiftung erfolgen muß. Das wichtigste Gegenmittel ist der Antagonist Atropin, ein Stoff, der sich auf noch freie Rezeptoren setzt, selbst keinen Reiz auslöst und so eine stärkere Reizung des Nervensystems verhindert; die Wirkung von Atropin hängt jedoch sehr stark vom eingesetzten N. ab, beim äußerst giftigen VX zeigt es kaum noch Erfolg. Auch muß nach der Gabe von Atropin schleunigst dafür Sorge getragen werden, daß das vom N. blockierte Enzym wieder reaktiviert wird, doch setzt die Dosierung des dazu nötigen Medikaments, des sog. Antidots (z.B. H-Oxim, Toxogonin) Bedingungen voraus, die unter den Bedingungen eines Krieges nicht gewährleistet werden können.
Die intensiv betriebene Suche nach noch effektiveren Antagonisten und Antidoten wird wahrscheinlich nicht zu einer Entschärfung der N. sondern, eher zu einem neuen Rüstungswettlauf mit der Entwicklung einer neuen Generation chemischer Kampfstoffe führen, gegen die die heutigen Gegenmittel wirkungslos sind.

  • Hautkampfstoffe

Lit.: I.Stark: Insektizide und Nervengase, in: Chemie in unserer Zeit, 1984, S.96; D.Wöhrle, D.Meissner: Die zunehmende Verbreitung eines Massenvernichtungsmittels, in: Nachrichten aus Chemie, Technik und Laboratorium, 1989

 

Autor: KATALYSE Institut

Veröffentlicht in Alphabetisch, N, N - S, Weiteres / Sonstiges.

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