Ernährungsziele werden nach Ansicht der Deutschen Gesellschaft für Ernährung u.a. durch Einhaltung der Empfehlungen für die Nährstoffzufuhr erreicht.
Diese orientieren sich an Zielsetzungen wie Gesundheit, Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit. Konkretisiert werden sie durch Zufuhrempfehlungen (Gedrich/Karg 2001:19), die mit folgenden auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierenden Referenzwerten arbeiten:
- Ausreichende Nährstoffzufuhr (Vermeidung von Mangelkrankheiten),
- Durchschnittsbedarf (Gewährleistung psychischer, physiologischer und biochemischer Funktionen; Anlage gewisser Körperreserven bei 50 % der Bevölkerung),
- Empfohlene Zufuhr (Deckung des Bedarfs von 98 % der Bevölkerung).
Die von Bedarfszahlen abgeleitete Nährstoffzufuhr, bezieht sich auf gesunde Menschen und wird differenziert nach Alter und Geschlecht für verschiedene Bevölkerungsgruppen ausgewiesen. Es handelt sich um allgemeine Richtwerte für eine wünschenswerte Versorgung (Gedrich/Karg 2001), zur Bewertung der Versorgungssituation einzelner Individuen sind sie nur sehr bedingt geeignet.
Als Richtlinie für eine präventive gesundheitsfördernde Ernährung wird eine gemüse- und obstreiche Kost („5 am Tag“) empfohlen (vgl. Stehle 2001:18). Bezogen auf präventive Aspekte der Ernährung werden u.a. Lebensmittel mit antioxidaktiven Nährstoffen, sekundären Pflanzenstoffen, Folsäure und Vitamin K besonders hervorgehoben.
Empfehlungen für die Nährstoffzufuhr wurden in Deutschland von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) erstmals 1955 unter dem Titel Die wünschenswerte Höhe der Nahrungszufuhr herausgegeben. Sie wurden 1962 überarbeitet, 1970 einer grundlegenden Revision unterzogen und erschienen ab 1975 unter dem Titel Empfehlungen für die Nährstoffzufuhr. Im März 2000 wurden erstmals gemeinsam von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), der Österreichischen Gesellschaft für Ernährung (ÖGE), der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährungsforschung und der Schweizerischen Vereinigung für Ernährung‚ Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr veröffentlicht.
Quelle:
Neueste Ausgabe der Empfehlung für die Nährstoffzufuhr
Da die Definitionsmacht bei den naturwissenschaftlichen Disziplinen liegt, beschränken sich die Referenzwerte und Zufuhrempfehlungen auf eng gefasste physische Ziele. Eine Konkretisierung der allgemeinen Ziele Gesundheit, Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit steht noch aus. Die aktuellen Ernährungsziele sind damit weit entfernt von Lebenspraxis und Ernährungsalltag, Küche, Einkaufs- und Ernährungsverhalten (denen komplexe Strukturen, wie Einstellungen, Traditionen, Wahrnehmungen, Informationsverhalten, Lebensstile und Motive zugrunde liegen). Eine Chance für die Ausgestaltung von Ernährungszielen und den dazu erforderlichen praktischen Instrumenten liegt in neuen gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen. Weder die Politik noch nichtstaatliche Organisationen im Ernährungsbereich verfügen aktuell über wirksame Instrumente zur zielgruppen-, gender- und sozialspezifischen Erreichung von Ernährungszielen in der breiten Bevölkerung. Erforderlich ist, die gegenwärtige Verengung der Perspektive auf einen naturwissenschaftlichen Zugang zu durchbrechen, die Aushandlungsprozesse über Ernährungsziele auch im politischen Raum zu verankern und dafür zu sorgen, dass alltagspraktische Zugänge Eingang finden können.
Die aktuelle Ernährungs- und Gesundheitssituation in Deutschland ist wie folgt zu beschreiben: Obwohl das Lebensmittelangebot sicher, preiswert und qualitativ hochwertig ist, bleiben ernährungsbeeinflusste Erkrankungen ein gesellschaftlich relevantes Gesundheitsproblem. Es wird insgesamt zu viel und zu fett gegessen, aber gleichzeitig zu wenig Obst und Gemüse verzehrt, bei abnehmender körperlicher Aktivität. Die Rolle des Lebensstils und der Ernährung bei der Entstehung chronischer Erkrankungen wird zunehmend deutlicher. Gesundheit, Wohlbefinden, Nachhaltigkeit, Genuss und gerechte Verteilung sind von allen maßgeblichen Akteuren im Ernährungsbereich ankannte Ernährungsziele. Diese breite Zustimmung findet sich in der Ernährungspolitik jedoch nicht wieder. Ein Konsens in bezug auf Ziele und Absichten kann bei der praktischen Umsetzung der Ernährungsziele schnell in Dissens umschlagen, da von den Interessengruppen Zugeständnisse und Veränderungen in Produktion und Konsum abverlangt werden. Ein gravierendes Problem stellt auch die Abhängigkeit der Ernährungsziele von politischen Konjunkturen dar. Mit der BSE-Krise wurde beispielsweise Lebensmittelsicherheit zum vorrangigen Ernährungsziel erklärt und stand ganz oben auf der Agenda, mit nachlassendem Interesse, verlor dieses Ernährungsziel wieder an Bedeutung.
Generell stehen hinter Ernährungszielen Vorstellungen von richtiger (gesunder) Ernährung, vom richtigen Essen, bis hin zum richtigen Leben(sstil). Voraussetzung für die gesellschaftliche Akzeptanzfähigkeit solcher normativen Vorgaben ist ein breiter gesellschaftlicher Diskurs. Die Formulierung von Ernährungszielen obliegt bislang jedoch wissenschaftlichen Experten und ist nicht Gegenstand der öffentlichen politischen Diskussion. Gesellschaftliche Akteure nehmen an dem Aushandlungsprozess nicht teil. Aber auch der wissenschaftliche Zugang ist verengt. Bei der Umsetzung des wissenschaftlichen Gesundheits- und Ernährungswissens in Ernährungsziele, ist es nicht gelungen die naturwissenschaftliche Perspektive zu öffnen und kulturelle Dimensionen der Ernährung einzubeziehen.
Autor: KATALYSE Institut